Vergangenen Mittwoch kam nun ein positiver Beschluss des Kreuzberger Stadtteilparlaments zustande. Ein Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf eine entsprechende Ausnahmegenehmigung soll folgen.
Um den Hintergrund der Diskussion zu beleuchten, setzen wir nochmal bei der vorangegangenen Informationsveranstaltung an.
Unlängst fand unter regem Interesse, vor allem der Anwohner, eine Veranstaltung mit dem Namen „Ein Coffeeshop für den Görlitzer Park“ statt. Eingeladen hatte die grüne Stadtteil-Bürgermeisterin Monika Herrmann. Natürlich konnte man auch einige bekannte Gesichter aus der Legalisierungsfraktion entdecken sowie interessierte Konsumenten und latent besorgte Eltern. Man traf sich dazu in einem etwas angeranzten Jugendzentrum, dessen Kapazitäten schnell ausgeschöpft waren. Die Luft fühlte sich feucht an und der Raum erhitzte sich nicht nur am Gegenstand der Diskussion – Sauerstoffmangel war unausweichlich. Fotografen nicht erwünscht. Aufnahmen bitte nur von den Rednern.Zunächst fasste die Gastgeberin die Situation zusammen. Es ging um folgendes: die lästigen Dealer, überwiegend schwarze Asylanten im Görlitzer Park, los zu werden. Dort stehen täglich etwa 100 Personen an verschiedenen Ein- und Durchgängen in kleinen Grüppchen und gehen ihrem Gewerbe nach. Ein Gewerbe, dessen Existenz allein den Bestimmungen im BTMG geschuldet ist. Daher der logische Schluss: Ein Coffeeshop muss her, um den „Schwarzen“ den Markt zu entziehen.
Ihre zentrale Aussage: Cannabiskonsum ist eine Realität in der Stadt. Gras und Hasch sind Alltagsdrogen geworden. Diese Aussage erstaunt, war sie doch Stein des Anstoßes bei der Formulierung des Parteiprogramms zur letzten Senatswahl: Danke Frau Herrmann, sehr schön; so viel Aufrichtigkeit gibt es selten in der Politik.
Zudem führte sie aus, man könne von Razzien und verstärkter Polizeipräsenz keine Verbesserung erwarten, weil sich dadurch das „Problem“ nur verlagere, um dann wieder unverändert an den alten Ort zurückzukehren. 113 Schwerpunkteinsätze in 3 Quartalen mit 7749 Einsatzkräfte-Stunden und 170 Strafanzeigen beweisen das. Das sind 28 Stunden am Tag, aber nur durchschnittlich. Zudem sei Jugendschutz nicht zu gewährleisten. Das müsse man sich eingestehen.
Wiederholt betonte sie, dass der Antrag nicht bedeuten soll, Coffeeshops würden nur hier am Görli entstehen. Denn sonst kämen ja noch mehr Cannabis-Konsumenten in den Park. Vor allem fürchtet man den internationalen Drogen-Tourismus.
Der Verkauf solle wie in Amerika vom Staat durchgeführt werden, ebenso wie der Anbau des Grases und die Herstellung des Haschischs (Leider zeugt diese Aussage von gänzlicher Unkenntnis der Situation in den USA, aber das würde den Rahmen bei weitem sprengen).
Nun wurde noch erklärt, wie der Antrag durchgesetzt werden soll. Im § 3 (2) des BTMG steht: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kann „im Interesse der Öffentlichkeit“ ausnahmsweise den Anbau, die Herstellung und den Handel mit Betäubungsmitteln erlauben. Es gäbe bereits Anfragen von anderen Städten wie Bochum und von der Schanze in Hamburg. Die Chancen für einen Modellversuch stünden also gut. Zuletzt hätte man das in Kiel vor 16 Jahren versucht und seitdem hätte sich viel getan: siehe USA. Gerade die Verwendung als Medizin hätte in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sich Cannabis sicher und gesellschaftlich verträglich abgeben lässt. Nicht zuletzt entstünden Jobs und Steuereinnahmen.
Damit war die Diskussion eröffnet. Gar illustres Disputieren setzte ein, bei dem stets, oft schon im Gehabe und Aussehen, in den Formulierungen und ähnlichem klar war, auf welcher Seite der Vortragende stand. „Was passiert bis dahin? Das kann Jahre dauern, bis da was entschieden wird?“ Verständlich die meisten wollten nur ihren Park zurück, da sie als Anwohner einfach genervt sind von ewigen Anmachen; wie: „sexy, sexy“ bei Frauen oder „na, wie viel willst du, Weißbrot“ bei allen anderen, die nach potentiellen Kunden aussehen. „Joghurt“ und „Kartoffel“ sind dabei auch beliebte Ansprachen, wie ich bei einer Recherche vor Ort erfahren konnte. Die Preise sind mies und die Qualitäten sind okay, wenn man sich nicht fies übers Ohr hauen lässt. Eben so wie man es erwarten würde. Daher auch ein älterer Herr: „Das Problem sind nicht die Berliner, die haben alle eine Nummer für solche Fälle. Es sind die Touristen, die das Problem sind und die werden wohl kaum in unseren Coffeeshops bedient und dann bliebe das Problem im Park.“ Ausgiebiges Gelächter folgte. Eine Mutter bat an, sie könne sich die Nummernschilder der Einkäufer aufschreiben, aber das interessiere ja keinen. (Scheiß Denunzianten!) Daraufhin die Bürgermeisterin: die Konsumenten würden eh nicht mehr bestraft, das sei schon legal. Nach Zwischenrufen musste sie dies revidieren. (Generell gilt das schon gar nicht. Da verlieren Bürger ihren Führerschein und bekommen unverhältnismäßige Strafen. Das Kontroll- und Rasterfahndungsverhalten der Polizei widerspricht dem diametral. Und es gibt Bayern.)
Dann ein weiteres einleuchtendes Argument eines Herrn: Es liegt daran, dass diese Menschen nicht arbeiten dürfen. Das Asylrecht verhindere dies. Die Diskussion entbrennt in diese Richtung. Ein Schwarzer meldet sich zu Wort und will relativieren. Schwarze in Kreuzberg sind nicht alle Dealer.
So langsam wird die Veranstaltung zum Kabarett. Das ist keine Diskussion, weil eh schon feststeht was hier passieren soll. Eine Weile hörte ich mir das noch an, aber schnell siegte die Lust auf ein legales Feierabendbier. Draußen hatten sich schon einige Gelangweilte und Enttäuschte zusammen gefunden. Allgemeine Kritik an den Platzverhältnissen und sofort entbrennt der Streit um die Glaubwürdigkeit und die Ernsthaftigkeit des eben Gehörten.
Alles nur „Grüner Populismus“?
Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Es war August, Sommerloch und vor der Bundestagswahl. Zuerst dachte ich es handelt sich um eine Ente. Aber nein, es war voller Ernst. Kann man dem trauen, nach alldem was passiert ist? Und warum kommt das von dieser Ebene? Weil man die da oben nicht mehr zu einer echten Aussage motivieren kann? Ist die Spitze so weit von der Basis entfernt? Ein lokaler Guerilla-Vorstoß?
Es ist beschämend, durch welches Hintertürchen man hier versucht hat doch noch das Image der Partei aufzupeppen. Zudem fehlt hier auch, dass der Vorschlag von einer breiten Parteibasis, mit Unterstützung von gewichtigen Persönlichkeiten aus Senat und Bundestag, getragen wird. Oder haben da noch Einzelne Angst davor an die Vergangenheit erinnert zu werden? Gut möglich.
Die Legalisierung von Hanf hat nämlich eine lange Geschichte in dieser Partei, der Erkenntnishorizont der Grünen war schon bedeutend weiter. Man denke an die 80er Jahre, als diese Partei quasi im „Ganjarausch“ geschmiedet wurde. Aber auch später war diese Pro-weiche-Drogen-Einstellung noch zweifelsfrei allgemeiner Konsens: So hieß es 1998 zur Bundestagswahl:
„Aus ideologischen Motiven blockiert die Bundesregierung die dringend nötige Wende in der Drogenpolitik. Ergebnis der Politik der Regierungskoalition ist eine stetige Stabilisierung der Gewinne der organisierten Kriminalität durch den illegalen Handel. … BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen eine grundsätzlich Wende in der Drogenpolitik. Der Schlüssel für eine solche Wende liegt in der Gesundheitspolitik. Drogenpolitik, die mit Repressionen eine suchtfreie Gesellschaft durchsetzen will und Stoffe willkürlich nach subjektiven Kriterien als gefährliche Drogen klassifiziert, obwohl wissenschaftliche Gutachten längst das Gegenteil attestieren, ist zum Scheitern verurteilt. … fordern wir die Legalisierung bestimmter Drogen wie Haschisch nach ähnlichen gesetzlichen Schutzvorschriften wie Alkohol.“
Erst nachdem in den Koalitionsverhandlungen mit Schröders SPD 1998 die Legalisierungsfrage verraten und verkauft wurde, war klar, das war eine Lüge. Macht und Posten sind wichtiger als Programme und Versprechungen. Das, die HarztIV-Gesetze und der Kriegseinsatz, sind die Glaubwürdigkeitsprobleme dieser Partei.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Anmerkung, dass Frau Künast im Wahlkampf um den Bürgermeisterposten sich von dem unsäglichen Super Illu Interview nicht mehr erholt hat, in dem sie sich von der Legalisierung distanzierte. Gefragt: „Recht auf Rausch?“ antwortete sie: „In welchem Jahrhundert machen Sie eigentlich dieses Interview mit mir? Diese Zeiten sind längst vorbei.“ Bis dahin konnte sie sich noch an fast 30% in Umfragen freuen, fast schon im Amt. Mit 17,6% ging man am 18.9.2011 durchs Ziel.
Aber nochmal zurück zum Görli-Versuchsmodell: Die Argumentation, Coffeeshops um Dealer aus dem Park zu verdrängen hinkt. Möglicherweise würde der Coffeeshop die Gras-Dealerei im Park beenden; nicht aber der Verkauf harter Drogen. Und besagte „Schwarze“ hätten immer noch keinen Job. Was passieren würde kann sich jeder selbst ausrechnen. Asyl und Drogenpolitik gehören nicht in einen Topf. Dann nämlich riecht das ganze nach Diskriminierung und Rassismus, den es zweifelsfrei gibt. Es wurde hier viel zu kurz gedacht und man erwartet Lösungen und Erfolge, die ein Coffeeshop nicht leisten kann. Trotzdem sind die Argumente für eine Legalisierung ebenso sinnvoll wie einfach. Eine Beendigung der Verfolgung Unschuldiger die lediglich ein Menschenrecht ausüben wollen.
Doch um dem Markt die Dynamik zu entziehen muss man den Eigenanbau fördern und die Preise eben daran orientieren. Profit ist der Hauptantrieb für Fehlentwicklungen. Legale Jobs entstünden tausendfach, und üppige Steuer-Einnahmen wären unausweichlich. Die Konsumsicherheit und die Reinheit der Produkte nähme zu, zusammen mit der Schmackhaftigkeit der Kräuter. Und nicht zuletzt würde der Polizei- Justiz- und Gerichtsapparat entlastet und damit in der Fähigkeit gestärkt wirkliche Verbrechen zu verfolgen und aufzuklären. Auch hier ist die Einsparung von Steuergeldern und Kapazitäten nicht zu verleugnen. Zudem könnte endlich allen Patienten Therapie mit THC und CBD angeboten werden; nebenwirkungsarm, gut verträglich, kostengünstig und erfolgreich gegen viele Krankheiten von Krebs bis Aids, von Glaukom bis MS. Eine Legalisierung hat nur Gewinner.
Der Profit steht uns im Weg
Warum diese logische Argumentation für eine Legalisierung keinen Eingang in ein vernünftiges Gesetz finden wird, liegt dabei an zwei einfachen Faktoren:
1. Die USA haben den „Krieg gegen Drogen“ noch nicht für beendet erklärt. Deutschland ist noch immer nicht souverän und damit fühlt sich die Bundesregierung einfach verpflichtet hier nicht zu opponieren.
2. Die großen Industrien sind dagegen: Pharma-, Öl-, Waffenindustrien u.v.a. verdienen viel zu gut an der Prohibition (In USA allen voran die Gefängnis-Industrie).
Diese Kräfte haben uneingeschränkte Macht in allen Demokratien, weil sie unlimitierte Ressourcen besitzen. Gutachten werden gekauft, die Medien bezahlt und die Gesetze selbst geschrieben. Da weiß jeder was er zu schreiben hat und wo die Grenze verläuft, nicht nur bei Hanf. So ist das.
Und jetzt soll hier nicht der Diskussion Vorschub geleistet werden, ob die Linke unsere Interessen besser vertritt oder nicht. Leider hat auch die Linke, sobald sie in der Regierungsbeteiligung ist, nichts durchsetzen können oder wollen. Und die Piraten haben es vorgezogen sich selbst zu spalten bzw. sich in Parteiinterna zu zerfleischen.
Von den anderen Parteien ist eine flexible, unvoreingenommene und aufrichtige Logik in der Drogenpolitik nicht zu erwarten. Es geht dabei weniger um die Ehrlichkeit, sondern mehr um die Angst vor dem Dammbruch der bei Abkehr von unterdrückerischen Methoden erfolgt und die Angst vor dem Verlust der eigenen Macht.
Der Weg ist klar: Entweder eine neue glaubhafte Partei; eine nachhaltige Einsicht bei eben genanntem; oder wir klagen uns irgendwann durch. Ein europäisches Volksbegehren? Zuletzt hat ein aufrichtiger Richter 1996 mit dem Geringe-Menge-Urteil bei uns überhaupt etwas bewirkt. Den Initiatoren des Görli-Modells wünschen wir natürlich viel Glück. Aber wir empfehlen doch noch einige sympathische und politisch gewichtige Persönlichkeiten zu gewinnen, jemand wie Herrn Ströbele zum Beispiel. Zudem sollten sie sich eine breite gesellschaftliche Basis bei anderen Gemeinden suchen, um gemeinsam einen solchen Antrag einzubringen. Einigkeit macht stark! Sonst wird das Ergebnis außer populistischen Schlagzeilen in den Medien gleich null sein. Wir haben keine Zeit nochmal 16 Jahre zu warten, bis wieder jemand den Versuch macht dieses ungerechte und ineffektive BTMG zu reformieren.
Und noch ein Tipp: Bisher hat es noch kein Staat geschafft ordentliches Gras selbst herzustellen und auf den Markt zu bringen. Das ist illusorisch und sicher auch nicht das, was sich die Mehrzahl der Konsumenten wünscht. Wir wollen eine vernünftige Regelung zum Eigenanbau, sowie eine qualitativ kontrollierte Abgabe in geeigneten Läden oder Cannabis-Sozial-Clubs.
Die Strafverfolgung ist das Problem“
Doch woher soll nun die Änderung der Rechtslage kommen? Im kommenden Frühjahr wollen über 100 Strafrechts-Professoren eine Petition beim Bundestag starten, um eine Entkriminalisierung von Drogendelikten zu erreichen. Denn der Schwarzmarkt erzeugt „eine extreme und globalisierte Schattenwirtschaft mit weiterer Folgekriminalität und destabilisierenden Auswirkungen auf globale Finanzmärkte ebenso wie nationale Volkswirtschaften“.
Ist es nicht bezeichnend, wenn die Politiker und ihre Gesetze von allen Seiten, also den Bürgern und den Justizfachleuten, als unbefriedigend und sachlich falsch wahrgenommen werden? Auch in der Polizei finden sich wiederholt hochrangige Stimmen, die unsere Drogenpolitik für gescheitert erklären. Vielleicht ist es wirklich so, dass wir am Ende nur unsere Rechte einklagen müssen. Schließlich steht schon im ersten Paragraphen des Grundgesetzes: …“die Würde des Menschen ist unantastbar.“ und im zweiten: „jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“. Die Frage, ob das einen Feierabend-Joint oder die Eigenversorgung auf dem Balkon mit einschließt, sollte sich jeder selbst beantworten können.
Kreuzberg genehmigt Deutschlands ersten Marihuana-Laden
Jura-Professoren fordern Legalisierung von Drogen
Druck auf Drogendealer: Über 100 Schwerpunkteinsätze im Görlitzer Park
Ein Coffeeshop für den Görlitzer Park: 29.08.2013
Grüne wollen Drogen im Coffeeshop selbst verkaufen: 5.09.2013
Legale Cannabis-Abgabe im öffentlichen Interesse: 30.10.2013 Berliner Zeitung
Ein Hauch von Amsterdam in Kreuzberg: 30.10.2013 Rheinische Post